Haftpflichtprämie für Hebammen steigt weiter an
Die Hebammenhaftpflichtversicherung hat sich zum 1. Juli erneut erhöht. Der Jahresbeitrag beträgt mittlerweile 6274 Euro. Diese Summe ist für die meisten Hebammen untragbar, die Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband sind gescheitert. Ein ganzer Berufsstand steht damit vor dem Aus. Susanna Rinne-Wolf, selbst freiberufliche Hebamme und 1. Vorsitzende des Berliner Hebammenverbandes, äußert sich zur schwierigen Lage der Hebammen.
Frau Rinne-Wolf, momentan müssen die freiberuflichen Hebammen darum kämpfen, weiterhin Schwangere in ihrem häuslichen Umfeld zu betreuen, da die Haftpflichtprämie in diesem Berufsfeld immer weiter ansteigt. Worin liegt denn der Vorteil einer Hausgeburt gegenüber einer Geburt im Krankenhaus?
Susanna Rinne-Wolf: Wir wissen, dass es eine Eins-zu-eins-Betreuung gibt, die Hebamme kann sich auf eine Frau bei der Geburt konzentrieren und diese Hebamme ist nur für sie da. Das verhindert Interventionen, das ist mittlerweile gut belegt. Nur noch circa sieben Prozent der Geburten verlaufen ohne Intervention.
Wie sieht der Stundenverdienst einer Hebamme aus?
Rinne-Wolf: Der Stundenverdienst liegt bei ungefähr 8,30 Euro bis 8,50 Euro die Stunde.
Können Sie sagen, wie hoch der Verdienst bei einer Hausgeburt ist?
Rinne-Wolf: Da kommt es darauf an, ob das Kind nachts geboren ist oder am Wochenende oder am Feiertag. Dann gibt es Zuschläge. Für eine Geburt zu Hause ohne Zuschlag sind es so Pi mal Daumen 700 Euro brutto. Die Geburt ist hierbei auf elf Stunden angelegt. Das ist der Betrag komplett vor Abzug der Steuern.
Wie viel beträgt die Berufshaftpflichtprämie jährlich?
Rinne-Wolf: Wir sind jetzt jährlich bei 6274 Euro. Das macht keinen Spaß. Wenn es nicht so ein toller Beruf wäre, dann hätten wir alle schon vor Jahren aufgehört. Aber so halten ein paar Idealistinnen immer noch daran fest.
Was bedeutet in diesem Fall Intervention?
Rinne-Wolf: Intervention bedeutet, dass irgendwas gemacht wird, dass etwas manipuliert wird. Seien es Wehenmittel, Wehenhemmer, Dammschnitte, Kaiserschnitte und so weiter.
Wieso wird mittlerweile so häufig interveniert?
Rinne-Wolf: Im Krankenhaus ist es normalerweise der Fall, dass die Kolleginnen nicht die Möglichkeit haben, sich nur um eine Gebärende zu kümmern, da werden teilweise fünf bis sechs Frauen gleichzeitig betreut. Wenn man sich einfach nur vorstellt, was eine Geburt mit sich bringt, nämlich komplett neue Erfahrungen. Etwas, dass man noch nie vorher so erlebt hat. Schmerzen, die aber kein Warnsignal sind, sondern eigentlich ein Zeichen, dass alles gerade gut vorangeht. Die Frauen müssen komplett umdenken, was es bedeutet, Schmerzen zu haben. Die Schwangere braucht da jemanden, der die ganze Zeit dabei ist, der die ganze Zeit und immer wieder versichern kann, dass alles in Ordnung ist. Auch wenn der Schmerz anders wird, intensiver, sich ändert, wenn plötzlich etwas gespürt wird, was man nicht einordnen kann. Die Hebamme kann es einordnen.
Wenn ich das nicht machen kann, bekommen die Frauen Angst. Dann entscheiden sich natürlich viele für Schmerzlinderung. Damit fängt es dann schon an. In dem Moment, in dem ich die Schmerzen lindere, bei einer PDA beispielsweise, gehen die Wehen weg, dann muss ein Wehentropf angehängt werden und das geht dann immer so weiter. Krankenhaus ist Mühle. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den Ärzten läuft meist gut. Ganz klar. Aber auf der anderen Seite ist es so, dass viele von den jungen Ärzten gar nicht mehr wissen, wie eine normale Geburt aussieht. Die lernen nicht, was eine physiologische Geburt alles beinhaltet. Bei ihnen gehen die Alarmglocken auch schon viel schneller an, da alle Angst haben, verklagt zu werden. Und da macht man schneller zum Beispiel einen Kaiserschnitt, damit man hinterher sagen kann, dass man alles probiert hat.
Ist bei einer Intervention das gesundheitliche Risiko nicht viel größer? Es handelt sich ja immerhin um einen Eingriff.
Rinne-Wolf: Bei einem Kaiserschnitt sowieso, wir wissen, was das hinterher alles an Komplikationen macht. In dem Moment, in dem ich einen Kaiserschnitt vornehme, gebe ich der Frau quasi vor, dass sie nur noch wenige Kinder kriegen kann. Danach ist das Risiko zu groß, noch mal schwanger zu werden. Alleine so etwas ist den meisten Frauen gar nicht klar. Das wird ihnen auch nicht gesagt, da fehlt die Aufklärung. Und es ist immerhin eine große Bauch-OP.
Die Krankenhäuser rechnen, wie lange es wirtschaftlich ist, ein Bett zu belegen. Kann es passieren, dass Frauen nach der Geburt zu früh entlassen werden?
Rinne-Wolf: Die Frauen werden mittlerweile am zweiten oder dritten Wochenbetttag vor die Tür gesetzt. Früher waren die Liegezeiten wesentlich länger. Man kann natürlich darüber streiten, ob das gut oder schlecht ist. Es verlagert sich nur dadurch natürlich in den Betreuungsbereich der freiberuflichen Hebammen in der ambulanten Betreuung. Und dadurch ist der Arbeitsanfall natürlich viel höher geworden in den vergangenen Jahren.
Wie sieht es mit den zahlreichen Petitionen zur Situation der Hebammen in Deutschland aus?
Rinne-Wolf: Es ist sehr schön, dass die Eltern jetzt auch sprichwörtlich auf die Straße gehen und versuchen, etwas zu ändern. Denn letztendlich ist es in ihrem Interesse. Bei uns kann es immer so ausgelegt werden, dass wir eine kleine Berufsgruppe mit Partikularinteressen sind und dann natürlich sozusagen unseren Hals retten wollen. Aber das größere Thema ist der Politik ziemlich egal. Wir sind, wenn es hochkommt, etwa 20.000 Wählerstimmen. Das interessiert niemanden. Mit den Eltern sieht es da natürlich anders aus. Wenn die sich dagegen aussprechen, ist es sehr wichtig. Deshalb sind wir sehr froh und dankbar, dass sich Motherhood gegründet hat.
Gibt es denn auch Verbündete in der Politik?
Rinne-Wolf: Ja. Man muss ja sagen, dass sich die Politik relativ weit aus dem Fenster gelehnt hat für uns. Es gab zwei Gesetzesänderungen innerhalb kürzester Zeit. Man muss schon sagen, dass Herr Hermann Gröhe (CDU, ehemaliger Bundesminister für Gesundheit) in 1,5 Jahren mehr für uns gemacht hat, als die letzten beiden Gesundheitsminister vor ihm. Man muss dazu natürlich auch sagen, dass er Ahnung von Hebammen hat, weil seine Schwester Hebamme gewesen ist. Und er hat selber vier Kinder. Also wusste er zumindest, wovon er redet.
Und es war schon sehr deutlich, dass sich alle Parteien im Bundestag klar dafür ausgesprochen haben, dass Hausgeburtshilfe und Wahlfreiheit beim Geburtsort erhalten bleiben. Das Haftpflichtangebot, was wir jetzt seit Juli haben, ist nur zustande gekommen, weil Druck aufgebaut wurde. Weil die Politik so einen Druck auf den Gesamtverband der Versicherer aufgebaut hat, dass neue Angebote gestrickt wurden. Sonst hätten wir jetzt schon kein Versicherungsangebot mehr. So gesehen kann man sich nicht über die Politik beschweren, es ist momentan eher der GKV-Spitzenverband, der uns Probleme bereitet.
Der Gesetzgeber hat einen Sicherstellungszuschlag für Hebammen beschlossen, der bei der Finanzierung der Haftpflichtbeiträge helfen soll. Welche Problematik ergibt sich in diesem Zusammenhang?
Rinne-Wolf: Der Sicherstellungszuschlag ist wunderbar in der Theorie. Die Kolleginnen, die es nicht schaffen, die Haftpflichterhöhung, also die Prämiensteigerung von 23 Prozent, auszugleichen über Volumen, sollen hinterher die Möglichkeit haben, das, was ihnen fehlt, also die Differenz, als Sicherstellungszuschlag von den Krankenkassen gezahlt zu bekommen. Das ist der Gedanke dahinter. Es gibt außerdem noch die gesetzliche Grundlage, die gilt nicht nur für uns, die gilt eigentlich immer, dass die Krankenkassen für Medizinberufe ausgleichen müssen, um was sich deren Berufsausübung verteuert. Es gibt aber genauso auch die Kolleginnen, die zum Beispiel auf dem Land leben, wo viel weniger Nachfrage ist. Für diese Hebammen ist der Sicherstellungszuschlag gedacht.
Klasse Idee könnte man denken, alle Sorgen sind vom Tisch. Jetzt fordert aber der GKV-Spitzenverband von den Hebammenverbänden, dass sie sich aussuchen sollen, welches dieser beiden Gesetzte sie erfüllt haben wollen. Entweder der Sicherstellungszuschlag oder die Gebührenpunkterhöhung für alle Leistungen, je nachdem wie viel die Haftpflichtversicherung oder die Berufsausübung jetzt mehr kostet. Das sind aber zwei unterschiedliche Gesetze, die eigentlich Hand in Hand funktionieren sollten, das war vom Gesetzgeber ganz klar so gewollt. Und da wird vom GKV-Spitzenverband gerade blockiert, deswegen kommen wir mit den Verhandlungen momentan nicht weiter.
Denn wir können natürlich nicht sagen, dass wir den Sicherstellungszuschlag nehmen, weil wir dann den Löwenanteil der Kolleginnen gar nicht mit im Boot haben. Nämlich die, die überhaupt gar keine Geburtshilfe anbieten. Sondern nur Wochenbettbetreuung und Schwangerenbetreuung. Deren Haftpflichtversicherung ist aber genauso teurer geworden, dieses Jahr.
Und wieso kann der GKV-Spitzenverband einfach entscheiden, wie er möchte?
Rinne-Wolf: Kann er nicht. Der GKV-Spitzenverband hat eine Rechtsauslegung, wir haben eine andere. Und da wir eine Selbstverwaltung sind, müssen wir mit denen verhandeln. Und weil wir da nicht weiterkommen, geht es jetzt an die Schiedsstelle. Und das heißt natürlich, eigentlich hätte schon alles ausgehandelt sein sollen. Eigentlich hätte schon zu Anfang des Monats klar sein sollen, wie die Kollegen an ihr Geld kommen. Heute war der Brief mit der Rechnung im Briefkasten. Das muss jetzt erst mal per Vorkasse gezahlt werden und die Hebammen wissen nicht, ob sie das Geld jetzt überhaupt wiederbekommen.
Wieso steigen denn die Regressforderungen so massiv? Es gab doch nicht mehr Geburtsschäden in den letzten Jahren?
Rinne-Wolf: Die Überlebenschancen von Menschen mit Behinderung sind viel besser geworden. Und das innerhalb kürzester Zeit. Vorher war es ja auch nur eine etwaige Kalkulation der Kosten. Und jetzt langsam haben wir die Fälle, wo wir sehen, dass die kalkulierten Beiträge nicht ausreichen. Auch bei den sechs Millionen, die wir momentan als Deckungssumme haben, weiß man jetzt schon, dass es nicht ausreichen wird.
Ein anderes Problem sind ja auch die Sozialversicherer, die Forderungen für über 18-Jährige stellen, die eigentlich hätten berufstätig sein können. Anmaßender Weise wird dann geschaut, welchen Beruf die Eltern ausüben, daraus wird geschlossen, welchen Beruf das Kind hätte ausüben können, was es im Schnitt verdient hätte, was es dann in die Arbeitslosenkasse eingezahlt hätte. Und das fordert der Sozialversicherer dann von der Hebamme. Immerhin ist jetzt der Gesetzesentwurf durchgegangen, dass die Regressforderungen zumindest von Pflege- und Krankenkasse eingedämmt werden sollen. Nach Schätzung wird das ungefähr 20 Prozent ausmachen. Das, was die Eltern und das Kind letztendlich an Schmerzensgeld und so weiter bekommen, ist in diesem Fall nur ein kleiner Anteil.
Nun ließe sich argumentieren, dass das soziale Risiko eines Geburtsschadens auf die Berufsgruppe der freien Hebammen verteilt wird. Wie kann man Ihrer Meinung nach der Vereinzelung des Risikos entgegenwirken?
Rinne-Wolf: Ich glaube, da müssen wir grundsätzlich unsere Fehlerkultur auch einfach mal überdenken. Wir haben ja sehr stark diese „shame-and-blame“ Mentalität, dieses Fingerzeigen. Ich glaube, wir sind uns alle sehr unserer Verantwortung bewusst. Die spüren wir schwer. Weil sie auf 30 Jahre festgelegt ist. Wir zahlen enorme Summen dafür, wir werden auch ständig daran erinnert. Aber das wissen wir ja auch. Ist ja klar, wir übernehmen da Verantwortung für mindestens zwei Menschen. Und es betrifft ja nicht nur uns, es betrifft ja die freiberuflichen Geburtshelferinnen, also die Gynäkologinnen genauso. Deren Haftpflichtversicherung ist ja noch viel teurer. In Berlin haben wir keine einzige freiberufliche Geburtshelferin beziehungsweise keinen Geburtshelfer mehr. Niemand von den Ärzten bietet mehr Geburtshilfe auf einer Belegbasis an. Deshalb betonen wir immer wieder, dass es eine Fondslösung geben muss. Es muss eine Lösung geben, wo wirklich solidarisch getragen wird, wenn ein Kind nicht gesund ist.
Wer könnte so einen solidarischen Fonds aufsetzen?
Rinne-Wolf: Es war der Gedanke, dass zum Beispiel die Hebammen in diesen Fonds einzahlen. Aber auch aus Steuermitteln könnte er finanziert werden. Da müsste dann der Wille des Gesetzgebers dahinterstehen. Das bräuchte ganz klar politischen Rückhalt. Und da müssen wir gar nicht weit schauen. Das ist in den Niederlanden ganz genauso geregelt. Da gibt es einen steuerfinanzierten Fonds, der als Stiftung aufgesetzt ist, die das alles zahlt. In England hat die Regierung eine Erklärung rausgegeben, dass jede zweite Geburt doch bitte zu Hause stattfinden sollte, weil sie dahin gehört. Da fragt man sich ein bisschen, was wir hier in Deutschland gerade machen. Wir schauen immer nur defizitorientiert, kein Wunder, dass hier niemand mehr Kinder kriegen will. Da denkt man ja, dass man Glück gehabt hat, wenn wenigstens ein Kind gesund geboren wurde.
Die Einrichtung eines Fonds ist also eine der Forderungen, die sie an die Politik stellen?
Rinne-Wolf: Das fordern wir schon seit einer ganzen Weile. Wir freuen uns natürlich sehr über das, was jetzt schon passiert ist. Die Idee mit dem Sicherstellungszuschlag und so weiter. Das sind gute Ansatzpunkte für eine kurzfristige, aber leider auch eine kurzzeitige Lösung. Um jetzt ein Pflaster draufzukleben, sind diese Lösungsansätze gut geeignet. Aber es ist sicherlich nicht zukunftsweisend, da braucht es noch andere Lösungen. Wir merken auch, dass wir immer weniger Bewerberinnen auf die Ausbildungsplätze haben, obwohl es immer noch ein so beliebter Beruf ist. Ich höre ganz häufig vor allem von jungen Frauen, dass sie sich eigentlich für den Beruf entscheiden wollten, aber ihre Eltern ihnen davon abgeraten haben. Oder dass sie sich ein bisschen belesen haben und dann doch Zweifel bekommen haben.
Es braucht da ganz dringend andere Lösungen, die den Beruf auch wieder sicherer erscheinen lassen. Denn man muss sich beispielsweise die Haftungszeit einmal klar machen. Wenn ich heute einen Fehler mache und in 30 Jahren dafür verurteilt werde, bin ich 68. Wenn ich dann zwei Tage später einen Herzinfarkt habe, weil ich so geschockt bin, dann wird die Schuld an meine Kinder weitervererbt.
Also kein positives Schlusswort?
Rinne-Wolf: Es ist der tollste Beruf der Welt. Und wir machen es alle sehr gerne, deswegen kämpfen wir ja auch so darum. Ich arbeite jetzt seit 15 Jahren im selben Kiez bei mir. Und die ersten Kinder, deren Eltern ich betreut habe, sind jetzt 15 und die laufen dann an mir vorbei und ich denke daran, wie es war, als sie noch klein waren. Das ist wirklich schön. Ich glaube, so geht es den meisten von uns. Wenn wir jetzt unseren Optimismus nicht behalten würden, dann könnten wir auch gleich ganz einpacken. Aber es tut sich ja ein bisschen was. Jetzt muss nur noch die Krankenkasse mitarbeiten.