Der eigentliche Schaden ist die herabgestufte Kreditwürdigkeit
Wer Opfer eines Identitätsdiebstahls wurde, hat es meist schwer, die falschen Daten wieder zu bereinigen. In unserer dreiteiligen Reihe zum Identitätsdiebstahl gibt die Berliner Journalistin Tina Groll, die selbst Betroffene ist, im Interview Tipps, wie sich Geschädigte verhalten sollten.
Frau Groll, Sie wurden selbst Opfer eines Identitätsdiebstahls und sind damit unfreiwillig Expertin auf diesem Gebiet geworden. Können Sie kurz erläutern, was Sie erlebt haben?
Tina Groll: Ich bin im Jahr 2009 Opfer von Identitätsdiebstahl geworden. Kriminelle haben, unter Angabe meines Namens und unter Verwendung meines realen Geburtsdatums, Waren auf Rechnung bestellt. Sie haben sich die Waren an Adressen von Strohmännern liefern lassen, an denen ich nie gelebt habe und auch nie gemeldet war. Die Waren wurden dort angenommen, aber die Rechnungen wurden nie bezahlt. Die Unternehmen, bei denen bestellt wurde, also Warenhäuser, Versandhäuser, Haushaltswarenhersteller und so weiter, haben dann versucht, an diesen Adressen die vermeintliche Tina Groll zu finden und das Geld einzutreiben, haben mich dort aber natürlich nie gefunden.
Wie sind die Unternehmen weiter vorgegangen?
Groll: Ich bin dann in Abwesenheit verurteilt worden, dazu gab es einen Eintrag ins Schuldnerverzeichnis und es wurden Haftbefehle zur Abnahme der eidesstattlichen Versicherung erlassen. Das alles passierte, während ich mein ganz normales Leben in Berlin als Journalistin lebte und nicht ahnte, dass ich in anderen Städten zur gleichen Zeit eine gesuchte Schuldnerin war. Und irgendwann passierte es dann, dass diese geprellten Unternehmen entweder durch eine eigene Inkassoabteilung oder durch beauftragte Inkassobüros diese Forderungen eintreiben wollten. Das funktioniert in der Regel, indem die Forderung an ein Inkassounternehmen verkauft wird. Deren Businessmodell ist es, den Schuldner zu finden, ihn einzuschüchtern und so das Geld einzutreiben.
Diese Inkassounternehmen haben mich relativ schnell gefunden, da ich als Journalistin arbeite und eine eigene Website besitze. Die Rechnungen erreichten mich in einem fortgeschrittenen Stadium des Versuchs, die Forderungen einzutreiben. Ich erhielt dementsprechend Briefe, in denen von letztmaligen Chancen, hohen Mahngebühren und juristischen Prozessen die Rede war. Aus diesen Briefen ging für mich erst einmal überhaupt nicht hervor, worum es überhaupt ging. Denn die Schreiben enthielten oft nur Kundennummern, mit denen ich natürlich nichts anfangen konnte.
Was haben Sie getan, um sich zu wehren?
Groll: Ich habe mir relativ schnell einen Anwalt genommen und Anzeige wegen Betrugs erstattet. Und ich bin gegen diese Unternehmen vorgegangen, die versucht haben, bei mir zu vollstrecken.
Das alles hat im Jahr 2009 angefangen – ist Ihr Fall denn mittlerweile abgeschlossen?
Groll: Nein. Der Identitätsdiebstahl hat im Jahr 2009 stattgefunden, in diesem Jahr haben die Täter meine Identität missbraucht – über einen Zeitraum von zwei bis drei Monaten. Nicht länger, denn dann ging mein Bonitätsscore runter. Die Identität des Opfers wird wertlos für den Betrüger, sobald der Bonitätsscore sinkt, weil die Identität nicht mehr als kreditwürdig gilt und sie folglich keine Waren mehr bestellen können. Anschließend versuchten die geprellten Firmen, bei mir zu vollstrecken. Die Forderungen erreichten mich gegen Ende des Jahres 2009 und im Jahr 2010. Daraufhin war ich ein ganzes Jahr lang damit beschäftigt, dagegen vorzugehen. Es ist zwar schon einige Jahre her, dass der Identitätsdiebstahl stattgefunden hat – und seitdem ist auch glücklicherweise nichts dergleichen wieder passiert – die falschen Daten verfolgen mich allerdings bis zum heutigen Tag.
Welcher Schaden ist Ihnen durch den Identitätsdiebstahl entstanden?
Groll: Das Schlimmste für mich war nicht, dass Waren auf meinen Namen gekauft und dann nicht bezahlt wurden. Diese Schäden muss man natürlich nicht bezahlen, weil man nachweisen kann, dass man nicht derjenige war, der die Waren bestellt hat. Der eigentliche Schaden, der entsteht, sind die herabgestufte Kreditwürdigkeit und die falschen Daten, die bei Auskunfteien und anderen Unternehmen wie der Schufa entstehen. Diese falschen Daten werden mit den realen Daten der geschädigten Person zusammengefasst. Und ich habe keinerlei Möglichkeit, herauszufinden, wer welche Daten von mir gespeichert hat. Wenn an einer Stelle Daten gelöscht werden, heißt das nicht, dass diese falschen Daten auch an anderer Stelle gelöscht werden.
In den letzten Jahren ist es mir immer wieder passiert, dass Daten gelöscht, aber auch eben wiederbelebt wurden. Zum Beispiel, weil sie nicht vollumfänglich gelöscht wurden oder aufgrund von Systemänderungen. Ich weiß also nie, ob mein Score und meine Daten sauber bleiben oder nicht. Das ist das, was unendlich viel Arbeit bereitet und wofür man als Opfer letztendlich nicht entschädigt wird. Der Schaden entsteht, wie gesagt, nicht dadurch, dass man die Forderungen bezahlen muss, sondern dadurch, dass es unglaublich viel Arbeit macht, die Daten wieder zu bereinigen. Und dass man im Zweifelsfall, wenn der Schufa falsche Daten gemeldet sind, kein Haus kaufen kann, keinen Handvertrag abschließen kann oder keinen Kredit bekommt, wenn man Arbeitgeber oder Unternehmer ist. Das kann gerade für Selbständige ganz schnell existenzgefährdend werden. Und natürlich kommt noch die zerstörte Reputation dazu.
Wird in diesem Zusammenhang an Schutzmechanismen für Betroffene gearbeitet?
Groll: Nein darüber ist mir nichts bekannt. Ich denke, in dieser Hinsicht wird es, im Gegenteil, immer schlimmer. Die Welt wird ja immer vernetzter und Big Data ist das neue Gold. Ich sehe nicht, dass die Politik zu irgendeiner Handlung bemüht ist – auf nationaler Ebene ist das natürlich auch schwierig zu regeln. Auf EU-Ebene kann man bisweilen etwas ändern, aber gegen globale Player wie Google, Facebook und so weiter kommt man natürlich nicht an. Die Welt wird zunehmend vernetzter, es treten immer mehr Akteure auf den Plan, die mit Big Data ihr Geld verdienen. Diese Entwicklung wird sich nicht wieder umkehren lassen.
Was wäre Ihr Vorschlag für einen verbesserten Umgang mit Opfern?
Groll: Ich würde es begrüßen, wenn Unternehmen zukünftig für falsche Daten, die sie über Menschen gespeichert haben, haften müssten. Es würde vielleicht etwas bringen, wenn man die Unternehmen verklagen könnte, die diese falschen Daten rausgeben und nicht richtig löschen. Denn die Aufgabe der Auskunfteien ist es eigentlich, Transparenz und Verlässlichkeit zu schaffen und Aussagen über die Kreditwürdigkeit zu machen. Insofern leisten sie einen wichtigen Beitrag zu unserem Wirtschaftssystem. Und dann gehen genau diese Unternehmen so nachlässig mit Daten um. Ich denke, es könnte helfen, wenn man an diesem Punkt Regressansprüche durchsetzen könnte.
Stichwort Vorbeugung: Was raten Sie Verbrauchern in Bezug auf den Schutz ihrer persönlichen Daten?
Groll: Ich habe mich viel mit dem Thema beschäftigt, halte Vorträge dazu und habe die Website identitätsdiebstahl.info ins Leben gerufen, über die sich Betroffene bei mir melden können und auf der ich auch Tipps gebe, wie man sich bei Identitätsdiebstahl verhalten sollte. Meine Erfahrung ist, dass viele Menschen glauben, dass ihnen nichts passieren kann, weil sie verantwortungsbewusst mit ihren Daten umgehen. Ich denke aber, dass es in Zeiten von Big Data unmöglich geworden ist, verantwortungsvoll mit den persönlichen Daten umzugehen. Heutzutage hinterlässt man nahezu überall Daten und macht sich – im Gegenteil – eher verdächtig, wenn man sich mit der Angabe von Daten zurückhält.
Ich glaube, dass die wenigsten Menschen selbst Schuld daran sind, wenn sie Opfer von Identitätsdiebstahl werden. Denn es handelt sich hierbei um eine ganz neue Form von Kriminalität. Es ist mittlerweile viel einfacher geworden, sich als jemand anderes auszugeben. Das sieht man zum Beispiel an den zunehmenden Fällen von Fake-President-Attacken, die im Bereich der Wirtschaftskriminalität immer häufiger beobachtet werden. Ich denke, das Einzige, was man gegen diese Form der Kriminalität tun kann, ist zu versuchen, kluge, gesetzliche Regelungen zu schaffen, damit es für Opfer später leichter wird, sich zu wehren. Wobei mir Unternehmen auch immer wieder berichten, dass reale Schuldner behaupten, sie seien Opfer von Betrug geworden, um ihren Bonitätsscore wieder zu bereinigen. Die Frage ist deshalb, wie man den tatsächlichen Opfern Gerechtigkeit verschafft und Täter fassen kann.
Und wenn es schon zu spät ist: Wie wehren sich Opfer von Identitätsdiebstahl?
Groll: Am wichtigsten ist es, sofort Anzeige zu erstatten und sich rechtlich beraten zu lassen, denn häufig kommt man ohne anwaltliche Hilfe nicht weiter. Außerdem sollte jedes Opfer von Identitätsdiebstahl das Bundesdatenschutzgesetz sehr gut kennen, insbesondere Paragraph 35. Wenn man eine Reputation zu verlieren hat, zum Beispiel als Unternehmer, Geschäftsführer oder als Person des öffentlichen Lebens, sollte man die Öffentlichkeit darüber informieren, dass man diese Straftaten nicht begangen hat. Es passiert häufig, dass gerade Menschen des öffentlichen Lebens, wie Schauspieler, Journalisten und so weiter Opfer von Identitätsdiebstahl werden, da die Täter von diesen Personen oft ohne Probleme relevante Daten herausfinden und sich sicher sein können, dass eine gewisse Bonität besteht.
Allerdings beobachte ich auch, dass es heute unter Tätern nicht mehr üblich ist, eine Identität für Hunderte von Straftaten zu missbrauchen. Sondern Täter kaufen oder hacken einfach Hunderte, Tausende, Zehntausende Identitäten und benutzen für jede Straftat eine Identität. In diesem Fall hat man es dann als Opfer auch sehr viel einfacher, sich zu wehren. Oft reicht hier ein Schreiben vom Anwalt und eine Anzeige und dann sind die Daten wieder sauber.
Denken Sie, dass die Polizei Ihren Fall aufklären wird?
Groll: Bisher wurde mein Fall nicht aufgeklärt. Und es ist auch nicht besonders wahrscheinlich, dass sich das noch ändert. Denn es handelt sich herbei um organisiertes Verbrechen beziehungsweise organisierte Kriminalität. Was oft aufgeklärt wird, sind Fälle, in denen es um Mobbing, Rache oder Stalking geht. Aber wenn es sich um organisierte Kriminalität handelt, geht die Aufklärungsrate meist gegen null.