Was gilt als medizinisch notwendig?

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Das Wichtigste in Kürze

  • Kranken­versicherungen erstatten prinzipiell nur Leistungen, von deren medizinischer Notwendigkeit sie überzeugt sind.
  • Auch, wenn eine Leistung ärztlich empfohlen ist, wird sie nicht zwangsläufig auch von der Versicherung als notwendig eingestuft und übernommen.
  • Das Einholen einer Auskunft beim Versicherer erspart Kunden unangenehme Überraschungen.

Das erwartet Sie hier

Wann gilt eine Behandlung als medizinisch notwendig und wie wirkt sich das auf die Kostenerstattung durch Kranken­versicherungen aus?

Inhalt dieser Seite
  1. Was ist medizinische Notwendigkeit?
  2. Medizinische Notwendigkeit in der PKV
  3. Medizinische Notwendigkeit in der GKV
  4. Gerichtsurteile
  5. Fazit

Wann ist eine Behandlung medizinisch notwendig und was bedeutet das für Patienten?

Definition: Was ist medizinische Notwendigkeit?

Damit eine Behandlung als medizinisch notwendig gilt, müssen folgende 3 Voraussetzungen erfüllt sein:

  • Es liegt tatsächlich eine Erkrankung vor.
  • Es werden angemessene diagnostische Maßnahmen ergriffen, die objektiv zur Erkrankung passen.
  • Die Behandlung verspricht eine Heilung, Linderung oder zumindest das Verhindern einer Verschlimmerung der Symptome.

Damit eine Behandlung als medizinisch notwendig gilt, muss es laut Bundesgerichtshof zum Zeitpunkt der Behandlung aufgrund objektiver medizinischer Befunde und Erkenntnisse vertretbar gewesen sein, sie als notwendig zu betrachten (IV ZR 163/09).

Medizinische Notwendigkeit entscheidet über Kostenübernahme

Das ist deshalb wichtig, weil Kranken­versicherungen Kosten in der Regel nur bezahlen/erstatten, wenn die Behandlung Teil ihres Leistungskatalogs ist und als medizinisch notwendig erachtet wird.

Hierbei unterscheiden sich private Kranken­versicherung (PKV) und gesetzliche Kranken­versicherung (GKV) darin, dass in der privaten Kranken­versicherung je nach Vertrag weitaus mehr Gesundheitsleistungen übernommen werden können als in der gesetzlichen Versicherung. In beiden Versicherungssystemen muss jedoch eine medizinische Notwendigkeit bestehen.

Medizinische Notwendigkeit in der privaten Kranken­versicherung

Häufige Auseinandersetzungen

Sind Privatversicherte mit einer Entscheidung ihrer Versicherung nicht einverstanden, können sie sich an den Ombudsmann der privaten Kranken­versicherung wenden, damit dieser vermittelt. Dies ist eine der Möglichkeiten, wenn die PKV nicht zahlt.

2019 machten Anträge zum Thema medizinische Notwendigkeit wie auch in den Jahren zuvor einen bedeutenden Teil der Anfragen aus. In der Regel war die Ursache des Problems, dass der behandelnde Arzt und der PKV-Anbieter die Notwendigkeit einer Behandlung verschieden einstuften. Im Tätigkeitsbericht des Ombudsmanns sind auch mehrere Beispiele dafür zu finden (Quelle):

Ambulante Behandlung

Ein Patient folgte der Empfehlung seines Arztes, seinen Fersensporn mit einer Stoßwellentherapie zu behandeln. Seine Versicherung lehnte die Kostenübernahme mit der Begründung ab, dass zuvor noch nicht die herkömmlichen ärztlichen und physiotherapeutischen Therapien ausgeschöpft worden waren.

Stationäre Behandlung

Die Erstattung stationärer Behandlungen kann verweigert werden, wenn die entsprechende Behandlung auch ambulant hätte erfolgen können. Das war z.B. bei einem Patienten der Fall, der einen Tag vor einer Operation stationär untergebracht war, um vorbereitende Maßnahmen vorzunehmen.

Heilmittel

Auch bei der Übernahme von Heilmitteln kann es zum Streit kommen. So werden z.B. physio- und ergotherapeutische Maßnahmen oder z.B. manuelle Therapie nicht über lange Zeiträume übernommen, weil sie nicht als Dauertherapien gedacht sind. Sie müssen auch in Reaktion auf akute Beschwerden erfolgen.

Bei einem anderen Streit ging es darum, ob die Versicherung besonders hochwertige Hörgeräte (Hilfsmittel) mit Sonderfunktionen komplett erstatten muss, wenn günstigere Hörgeräte zur Verfügung standen. Hier musste der Versicherer nur den Preis günstigerer Geräte zahlen, welche die notwendigen medizinischen Anforderungen erfüllten. Da die anderen Geräte zusätzliche Funktionen hatten, die als nicht notwendig eingestuft wurden, lag hier eine Übermaßbehandlung vor.

Beweislast beim Versicherungsnehmer

Prinzipiell liegt die Aufgabe, die medizinische Notwendigkeit einer Behandlung nachzuweisen, beim Versicherungsnehmer, der eine Leistung in Anspruch nimmt.

Empfehlung des Arztes reicht nicht aus

Auch wenn z.B. der Hausarzt die Behandlung empfiehlt, können Versicherer im Einzelfall prüfen, ob sie tatsächlich medizinisch notwendig war. Wenn sie dabei zu einem anderen Schluss kommen als der Hausarzt, kann es durchaus sein, dass Patienten die Kosten doch selbst übernehmen müssen.

Tipp: Leistungszusage einholen

Falls die Kosten der geplanten Behandlung voraussichtlich 2.000 Euro überschreiten, können die Versicherungsnehmer bei ihrem PKV-Anbieter eine schriftliche Auskunft einfordern, ob dieser die Behandlung übernimmt. Auch bei geringeren Summen ist eine Nachfrage möglich und oft empfehlenswert.

Medizinische Notwendigkeit in der gesetzlichen Kranken­versicherung

Entscheidung durch einen Ausschuss

Die Entscheidung, welche Behandlungen medizinisch notwendig sind, erfolgt durch einen Bundesausschuss. Dieser besteht aus Vertretern von Ärzten, gesetzlichen Krankenkassen, Krankenhäusern und Patienten. Hier wird entschieden, welche Behandlungen zur

  • Prävention
  • Diagnostik
  • Behandlung
  • Rehabilitation

als notwendig eingestuft werden. Bei der Entscheidung, ob eine Behandlung als medizinisch notwendig und damit erstattbar eingestuft wird, fließt nicht nur der gegenwärtige Forschungsstand zu ihrer Effektivität ein. Auch Überlegungen dazu, ob Aufwand und Nutzen im Verhältnis zueinander stehen, spielen eine wichtige Rolle.

Zahnersatz in der GKV

Ist Zahnersatz medizinisch notwendig, bezahlt die gesetzliche Kranken­versicherung einen Festzuschuss, der sich am zahnärztlichen Befund und der üblichen Versorgung orientiert. Auch hier muss die Kostenübernahme vor der Behandlung geklärt werden. Falls die verbliebene Summe immer noch zu hoch für den Patienten ist, können Härtefallregeln greifen. In jedem Fall stehen Patienten ausführliche Informationen über die Kosten der Behandlung zu, bevor diese beginnt.

Heil- und Hilfsmittel

Die gesetzliche Kranken­versicherung zahlt prinzipiell für viele notwendige Hilfsmittel (z.B. Hörhilfen, Prothesen oder Inhalationsgeräte). Allerdings müssen diese vor dem Kauf zunächst genehmigt werden. Zudem sind häufig Zuzahlungen des Patienten erforderlich. Bei Heilmitteln wie z.B. verschiedenen Therapien kommt es darauf an, ob sie als verordnungsfähig eingestuft wurden.

Wahltarife der gesetzlichen Kranken­versicherungen

Ein Großteil der Leistungen der gesetzlichen Kranken­versicherungen ist durch Gesetze geregelt. Darüber hinaus können GKV-Anbieter aber auch erweiterte Leistungen anbieten. Gesetzlich Versicherte können außerdem Wahltarife abschließen, die ihnen zusätzliche Leistungen sichern.

Grauzone bei einigen Leistungen

Bei einigen Leistungen ist es strittig, ob die gesetzliche Kranken­versicherung sie übernehmen sollte, weil ihre Notwendigkeit oder ihre Erfolgsaussichten infrage stehen – hier gibt es Unterschiede zwischen den einzelnen Anbietern. Das sind z.B.

  • einige alternative Heilmethoden, z.B. Akupunktur
  • alternative Heilmethoden für Schwerkrankte
  • professionelle Zahnreinigung als Präventionsmaßnahme

Leistungen der privaten Kranken­versicherung, z.B. im Bereich der Zahnbehandlung oder der Gesundheitsversorgung im Ausland, lassen sich durch private Krankenzusatz­versicherungen ergänzen, wenn Bedarf dafür besteht.

Individuelle Gesundheitsleistungen

Wenn die Krankenkasse die Notwendigkeit oder Wirksamkeit einer Behandlung nicht als gegeben ansieht – das gilt z.B. für Behandlungen wie Lichttherapie bei Winterdepressionen oder Akupunktur gegen Migräne -, können diese Behandlungen als sogenannte Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) in Anspruch genommen werden. Hier zahlt der Patient selbst. Allerdings, warnt der IGeL-Monitor, werden Patienten oft nicht ausreichend über Preise, Nutzen und Zuverlässigkeit der Behandlungen informiert. Auch konnte der Nutzen zahlreicher IGeL noch nicht durch Studien nachgewiesen werden.

Streit um Medizinische Notwendigkeit vor Gericht

Manchmal endet eine Auseinandersetzung über die medizinische Notwendigkeit von Heilbehandlungen nicht beim Ombudsmann, sondern wird vor Gericht ausgetragen. Hier sind zwei Beispiele, wie das ausgehen kann:

OLG Köln, 2014: Nachweis über medizinische Notwendigkeit fehlt

Ein Privatversicherter unterzog sich aufgrund von unspezifischen Rückenbeschwerden Injektions-, Infiltrations-, Akupunktur-, und Reizbehandlungen. Die entstandenen Kosten wollte er sich von der PKV erstatten lassen. Doch diese lehnte die Bezahlung ab, mit der Begründung, dass der Nachweis der medizinischen Notwendigkeit der Behandlung fehle. Das Kölner Landgericht und auch das vom Kläger angerufene Oberlandesgericht entschieden, dass die Entscheidung der Versicherung gerechtfertigt sei.

Grundlage des richterlichen Urteils bildete die Aussage von zwei medizinischen Sachverständigen. Diese erläuterten, dass die Ursache für die Rückenschmerzen des Patienten nie adäquat abgeklärt worden seien. Zudem seien weder fachärztliche noch rehabilitative Maßnahmen ausreichend versucht worden. Vor der Behandlung hätte somit erst eine ausführliche Analyse der Ursache durch geführt werden müssen. Deshalb das Urteil des Gerichts:

Dieses Beweisergebnis geht zu Lasten des Klägers. Solange nicht diagnostisch geklärt worden ist, worauf die Beschwerden zurückzuführen sind, kann auch nicht festgestellt werden, dass die durchgeführte Behandlung eine geeignete Therapieform darstellt. (Urteil OLG Köln 20 U 7/14)

Bundesgerichtshof, 2019: Prothesenwartung ist medizinisch notwendig

Hier klagte ein Versicherungsnehmer, der eine Beinprothese mit einem computergesteuerten Kniegelenk (Wert: 40.000 Euro) trägt. Zwei Jahre nach deren Erhalt ließ er sie für 1.700 Euro warten, um die Herstellergarantie zu behalten. Diese Summe wollte ihm die private Kranken­versicherung mit folgender Argumentation nicht erstatten:

  • die Wartung sei nicht medizinisch notwendig
  • Hilfsmittel gleicher Art könnten nur einmal innerhalb von drei Jahren erstattet werden

Nach Verhandlungen vor regionalen Gerichten erreichte der Fall den Bundesgerichtshof (BGH). Dort wurde entschieden, dass

  • sowohl die Kosten für Hilfsmittel, die körperliche Behinderungen ausgleichen sollen, als auch die Kosten für deren Instandhaltung erstattungsfähig sind.
  • die Kosten für das Hilfsmittel und seine Wartung zusammengehören, es sich also nicht um zwei gleichartige Leistungen handelt.

(Az. IV ZR 14/17) Dem Kläger wurde also somit Recht gegeben und seine private Kranken­versicherung musste die Wartung bezahlen.

Fazit

Behandlungen gelten als medizinisch notwendig – und damit Erstattungs- oder Bezuschussungsfähig -, wenn sie Heilungs- oder Linderungschancen für ein diagnostiziertes Leiden bieten. Wichtig ist das Vorliegen einer Diagnose und dass zunächst herkömmliche Behandlungsansätze ausgeschöpft werden, bevor z.B. alternative Heilmethoden ausprobiert werden. Ebenso darf die Behandlung nicht über das, was notwendig ist, hinausgehen. Im Zweifel ist es immer eine gute Idee, vor Behandlungsbeginn mit der Versicherung zu klären, ob diese die Gesundheitsleistung als notwendig ansieht.

Die häufigsten Fragen zu medizinischer Notwendigkeit

Was ist eine medizinisch notwendige Heilbehandlung?

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Eine Heilbehandlung ist medizinisch notwendig, wenn sie zum Zeitpunkt der Behandlung auf der Grundlage objektiver Befunde geeignet scheint, ein diagnostiziertes Leiden zu behandeln.

Wer entscheidet über die medizinische Notwendigkeit?

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Normalerweise entscheidet der Arzt, was eine notwendige und angemessene Behandlung ist. Allerdings können Vertreter von Krankenkassen diese Entscheidung überprüfen und zu einem anderen Schluss kommen, weswegen es sich lohnt, vor teuren Eingriffen deren Kostenübernahme abzuklären.

Wann ist Zahnersatz medizinisch notwendig?

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Zahnbehandlungen gelten als medizinisch notwendig, wenn die Behandlung dem gegenwärtigen Wissensstand entspricht, dauerhaft wirtschaftlich ist und auf ein gesundheitliches Problem reagiert – Behandlungen, die vor allem kosmetischer Natur sind, fallen nicht darunter. Bei Zahnersatz zahlen gesetzliche Kranken­versicherungen in der Regel einen Anteil einer kostengünstigen Variante von Zahnersatz. Für die Verwendung hochwertiger Materialien oder für Implantate kommen sie nicht auf.

Was ist eine medizinische Begründung?

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Manchmal verlangen Kranken­versicherungen eine Begründung, wieso eine Behandlung medizinisch notwendig ist, bevor sie sich bereiterklären, deren Kosten zu übernehmen. Diese wird in der Regel als Teil des Antrags für die Kostenübernahme von dem behandelnden Arzt geschrieben und enthält eine Beschreibung des Symptoms bzw. der Gesundheitsrisiken und eine Erklärung, wieso die angedachte Behandlung die beste Methode ist, dagegen vorzugehen.

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