Vorvertragliche Anzeigepflicht­verletzung – das sagt der BGH

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Das Wichtigste in Kürze

  • Der Bundesgerichtshof verhandelte 2018 den Fall eines Berufskraftfahrers, der Leistungen seiner Berufs­unfähigkeitszusatz­versicherung einklagte.
  • Diese hatte die Leistung mit der Begründung verweigert, dass der Versicherte die Anzeigepflicht verletzt hätte.
  • Das sahen die Gerichte anders und gaben dem Kläger Recht.
  • Das BGH-Urteil zur Berufs­unfähigkeits­versicherung (BU) stärkt die Rechte der Versicherten.

Das erwartet Sie hier

Was eine vorvertragliche Anzeigepflicht­verletzung bedeutet, wie ein Urteil des Bundesgerichtshofes dazu ausfiel und wie dies die Rechte von Versicherungsnehmern beeinflusst.

Inhalt dieser Seite
  1. Der Fall: Anzeigepflicht­­verletzung
  2. Das Gerichtsverfahren
  3. Das BGH Urteil
  4. Fazit

Der Fall: Anzeigepflicht­verletzung in der Berufs­unfähigkeits­versicherung

Icon Waage

Ein Berufskraftfahrer hatte im Jahr 2009 eine Lebens­versicherung mit einer Berufs­unfähigkeitszusatz­versicherung abgeschlossen. In der – vor Vertragsabschluss üblichen – Gesundheitsprüfung wurde unter anderem danach gefragt, ob der Versicherungsnehmer in den letzten fünf Jahren aus gesundheitlichen Gründen ärztlich untersucht oder beraten wurde. Diese Frage verneinte der Berufskraftfahrer. Tatsächlich wurde jedoch im Jahr 2005 eine radiologische Untersuchung bei ihm durchgeführt, da er 1998 eine Lungenembolie erlitten hatte.


Hinweis auf die Folgen falscher oder fehlender Angaben

Vor den Gesundheitsfragen stand im Vertrag ein Abschnitt, der folgendermaßen überschrieben war:

„Hinweis auf die Rechtsfolgen der Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht“

Die letzten beiden Zeilen dieses Abschnittes waren gefettet und wiesen den Versicherungsnehmer darauf hin, nochmal zu prüfen, ob alle Fragen korrekt und vollständig beantwortet wurden. Schließlich folgte weiter unten im Vertrag nochmal ein Abschnitt, der mit dem Wort „Erklärung“ überschrieben war und folgendermaßen lautete:

„Ich bestätige, dass ich den Hinweis auf die Rechtsfolgen einer vorvertraglichen Anzeigepflicht­verletzung gelesen und verstanden habe.
Alles vollständig – es folgen keine weiteren Risikoangaben.“

Anschließend folgte die Unterschriftenleiste, auf der der Versicherte unterschrieb.


Icon Vertrag mit Unterschrift

Der Vertrag kommt zustande

Nachdem der Vertrag 2009 zustande kam, erlitt der Berufskraftfahrer im Jahr 2013 erneut eine Lungenembolie. Er beantragte Leistungen aus seiner Berufs­unfähigkeitszusatz­versicherung. Diese reagierte jedoch mit einer Leistungsverweigerung und begründete die Entscheidung mit den falsch beantworteten Gesundheitsfragen.

Der Verlauf des Gerichtsverfahren

Die Positionen der Beklagten und des Klägers

Icon Vertrag kündigen
Position der Beklagten

Die Versicherung behauptet, wenn sie von der Lungenembolie und den daraus folgenden Untersuchungen Kenntnis gehabt hätte, wäre der Vertrag nicht zustande gekommen. Die Versicherung macht neben der Leistungsverweigerung von dem Recht gebrauch, den Vertrag rückwirkend anzupassen und integriert eine Ausschlussklausel in den Vertrag. Diese schließt Lungenembolien vom Versicherungsschutz aus.

Icon Vertrag
Position des Klägers

Der versicherte Berufskraftfahrer behauptet jedoch, den Versicherungsvertreter des Unternehmens über die erste Lungenembolie informiert zu haben. Einzig die radiologische Untersuchung hatte er vergessen.


Der Verlauf des Gerichtsverfahrens

Bevor der Fall zum Bundesgerichtshof gelangte, wurde bereits vor dem Landgericht Meiningen und dem Oberlandesgericht Jena verhandelt. In beiden Vorinstanzen hatte der Kläger Erfolg. Die Versicherung sollte die Leistung erbringen. Sie ging jedoch in Berufung, sodass sich der Fall über mehr als vier Jahre hinzog.

Das BGH-Urteil zur Berufs­unfähigkeits­versicherung (IV ZR 16/17)

Icon Richterhammer und Gesetz

Der Bundesgerichtshof bestätigte die Entscheidungen der Gerichte, die vorher mit dem Fall betraut waren (Quelle). Der Kraftfahrer bekam Recht und die Versicherung muss die vereinbarte Berufs­unfähigkeitsrente an ihn auszahlen.

Die Begründung des Gerichts

Der Versicherte erhält recht, da die Versicherung ihren Kunden aus Sicht der Gerichte nicht ausreichend über die möglichen Folgen der unvollständigen Angabe von Vor­erkrankungen informiert hatte. Der im Vertrag enthaltene Hinweis genügt nach Ansicht der Gerichte nicht den gesetzlichen Anforderungen, die in §19 Anzeigepflicht Abs. 5 Satz 1 VVG formuliert sind. Diese verlangen nach Ansicht der Gerichte einen schriftlichen Hinweis. Darüber hinaus müsse gewährleistet sein, dass es einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer möglich sei, den Inhalt des Verweises zu verstehen. Eine Vorlage des Antragsformulars lediglich zur Unterschrift genüge insofern nicht.

Icon Schriftrolle

Versicherungs­vertrags­gesetzt (VVG) §19 Anzeigepflicht Abs. 5 Satz 1

lesen

Dem Versicherer stehen die Rechte nach den Absätzen 2 und 4 nur zu, wenn er den Versicherungsnehmer durch gesonderte Mitteilung in Textform auf die Folgen einer Anzeigepflicht­verletzung hingewiesen hat. Die Rechte sind ausgeschlossen, wenn der Versicherer den nicht angezeigten Gefahrenumstand oder die Unrichtigkeit der Anzeige kannte (Quelle).

Versicherer werden in die Pflicht genommen

Das Urteil nimmt die Versicherungs­unternehmen in die Pflicht. Wer den Verbraucher nicht mit einer gesonderten schriftlichen Mitteilung auf seine Pflichten hinweist, muss zumindest den Hinweistext im Versicherungsantrag besonders deutlich kennzeichnen.

Interview mit Versicherungsexperte Alexander Vorgerd von transparent-beraten.de

Was halten Sie von dem Urteil?

Vorgerd: Ich gebe dem BGH insofern Recht, dass wichtige Passagen besonders hervorgehoben werden sollten und der Versicherer sollte sich diese auch jeweils unterschreiben lassen. Bei Ausschlussklauseln ist dies schon lange Standard.

Muss man die Fragen der Gesundheitsprüfung jetzt weniger ernst nehmen?

Vorgerd: Nein, auf keinen Fall! Grundsätzlich gilt, dass der Versicherer bei einer Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht je nach Schwere des Verschuldens vom Vertrag zurücktreten darf. Im vorliegenden Fall hat die Versicherung den Prozess nur verloren, da die Hinweise auf die Folgen der Pflicht­verletzung nicht deutlich genug waren.

Haben Sie abschließend noch einen Rat für Menschen, die eine Berufs­unfähigkeits­versicherung abschließen möchten?

Vorgerd: Nehmen Sie sich Zeit für den Abschluss. Prüfen Sie alle Ihre Erkrankungen. Dies können Sie beispielsweise in Rücksprache mit Ihrem Arzt tun oder Sie fragen bei Ihrer Kranken­versicherung nach. In jedem Fall sollten Sie keine Berufs­unfähigkeits­versicherung ohne vorherige Beratung abschließen.

Fazit

Das BGH-Urteil zur Berufs­unfähigkeits­versicherung stärkt die Rechte der Versicherten und ermöglicht den Leistungserhalt unter Umständen trotz einer vorvertraglichen Anzeigepflicht­verletzung. Grundsätzlich gilt jedoch, dass die Fragen der Gesundheitsprüfung in der Berufs­unfähigkeits­versicherung immer wahrheitsgemäß beantwortet werden müssen. Ein großer Teil der Leistungsverweigerungen in der Berufs­unfähigkeits­versicherung wird seitens der Versicherer mit falschen oder unvollständigen Gesundheitsangaben begründet. Hier bietet das BGH-Urteil unter Umständen einen Ansatzpunkt für Versicherte.

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